Pannen, Kommunikation und Hilfsbereitschaft

Veröffentlicht auf von Methusalem

Sylvester 2007. Auf der Autobahn, der Motor wird laut, es fängt an zu klappern. Rechts ranfahren, anhalten - der Auspuff schleift auf dem Boden. Notdienst anrufen, warten. 45 Minuten später: Abschleppen, Werkstatt. Mietwagen. Fahrt zur Sylvesterfete. Dienstag Rückfahrt, Mittwoch wird der Auspuff geschweisst, Fahrt zur Werkstatt, zig mal verfahren und dann die nächste Panne: zielsicher rückwärts in den unsichtbaren Graben. Anruf in der Werkstatt, einige Minuten später kommt ein Kleintransporter, problemlos zieht er mich aus dem Graben. Nur - der Fahrer stammte gar nicht aus der Werkstatt, war einfach so zufällig vorbeigefahren. Erinnerte sich daran, wie er vor Jahren in Frankreich im Graben gelandet war... 
Solche Ereignisse geben viel Stoff zum Nachdenken - Pannen kommen vor, und manchmal häufen sie sich. Und bei alledem - hätte vieles schlimmer sein können. Glück, Zufall, Vorbereitung, Hilfesysteme wie Pannendienste usw. federn das Problem ab - und der zufällig vorbeifahrende Helfer ist eben auch ein Erlebnis, das eine Bedeutung hat. Es gibt eine Menge Vorfälle, auf die man sich vorbereiten kann, aber eine grundsätzliche Weisheit drängt sich auf - Situationen, in denen Hilfe von aussen notwendig ist, werden immer wieder auftreten. Sie gehören zum Leben dazu, markieren Grenzen der Autonomie und machen die vielfältigen Verflechtungen in unserer Kultur erfahrbar. Freiheiten, Gesetzmässigkeiten und Zufälle - natürlich hätte ich auch Zuhause bleiben können, dann wären all diese Dinge nicht geschehen. Entscheidungen lösen eine Ereigniskette aus, die im Verlauf nur begrenzt prognostizierbar ist. System greifen ineinander und manchmal führt der Zufall einen hilfreichen Menschen herbei - das Eingeständnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit ergibt sich manchmal unmittelbar aus der Situation. 
Bei der Vielfalt der Faktoren, die hier ineinandergreifen, lässt sich nicht übersehen, dass viele Aspekte des je eigenen Lebens von anderen gestaltet werden, schon vor der Geburt durch die kulturellen Gegebenheiten vorgeprägt waren - und ohne die verschiedenen Systeme, die sich in bestimmten Situationen konkretisieren, nicht nachvollziehbar sind. Realistisch betrachtet - ein Leben ohne Pannen gibt es wohl nicht - und dennoch hängt es von vielen Faktoren ab, ob eine Panne zur Katastrophe wird oder sich in absehbarer Zeit wieder "einrenkt". Viel hängt davon ab, ob Hilfsbedürftigkeit kommuniziert werden kann und davon, ob dann auch irgend jemand da ist, der auf einen Hilfreruf reagiert, kompetent helfen kann. 

Was mir auffällt: niemand hat mir Vorwürfe gemacht. Irgendwie schein das ganz normal zu sein, das ist etwas "Akzeptables" das kommt eben vor, ein Auto bleibt eben mal stehen. Wenn ich vergleiche....
Eltern, die in Not geraten, weil sie mit ihren Kindern nicht mehr klar kommen, gehen oft gerade diesen Schritt NICHT - denn das ist in unserer Kultur immer noch für viele eine "Schande". Ein Pkw darf eine Macke haben, aber die Psyche...  nein, damit muss jeder erstmal selbst klar kommen. Erst wenn der Körper krank wird, danm greift das System wieder, dann gehen die Menschen eben zum Arzt.
 
Die Kultur des Hinschauens... schauen wir doch mal hin. Es gibt Systeme, die gut funktionieren, sich als institutionalisiertes Krisenmanagement bewährt haben. Und es gibt Bereiche, in denen solche Systeme entweder nur begrenzt funktionieren oder ganz fehlen. Fragen zur Lebengestaltung werden vor allem dort auftauchen, wo "Pannen" auftreten, die nicht mit einem vorliegenden Muster zu bewältigen sind. Hinschauen: da gibt es Lücken in unserer Kultur, die nicht nur Fragen an die individuelle Lebensgestaltung, sondern auch Fragen an die Politik stellen.

Hinschauen: wir leben in einer Gesellschaft, in der Kinder zuhause vernachlässigt, misshandelt und missbraucht werden, in der es Schulverweigerer, Kriminalität, immensen Drogenkonsum und noch jede Menge anderer Probleme gibt. Hinschauen: die bestehenden Hilfesysteme sind nicht immer wirksam und manchmal werden sie überhaupt nicht in Anspruch genommen.

Hinschauen: wir brauchen einander und es gibt viel zu tun.

Autonomie als Prinzip der Lebensgestaltung - es hat etwas für sich, selbständig zu sein, das eigene Leben unabhängig von anderen betrachten und führen zu können. Trotzdem bleiben wir immer in der einen oder anderen Weise aufeinander angewiesen. Das eigene Leben zu gestalten funktioniert nicht unabhängig von den vielfältigen sozialen, systemischen, ökonomischen und ökologischen Bezügen.
 

Es gibt keine Autonomie ohne Interdependenz.

Veröffentlicht in Querbeet

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M
Ich wünsche mir......dass sich die Einsicht durchsetzt, dass die Erziehung von Kindern eine anspruchsvolle Aufgabe ist,...dass es als angemessen empfunden wird, sich in Erziehungsfragen Rat und Hilfe zu suchen,...dass der Eindruck, mit der Erziehung überfordert zu sein, nicht gleich mit Versagen verbunden wird,...Einrichtungen wie Erziehungsberatungsstellen aufgesucht werden, bevor es zu spät ist."Ich kann und ich darf Hilfe in Anspruch nehmen, wenn ich sie brauche" - das ist, denke ich, eine gesunde Einstellung. 
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L
Ich denke nicht, dass es für die Menschen generell ein Schande ist sich Hilfe zu holen wenn man mit den Kindern überfordert ist, viele sehen es einfach nicht ein, dass sie mit ihren Kindern nicht klar kommen. Sei es nun, dass sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie krank sind, oder eben enfach nur doof sind. ich denke auch, viele setzten das mit Versagen gleich, was es natürlich nicht ist, aber wenn es so denkt, wer gibt gerne selber zu ein  Versager zu sein?
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