Süchtig durch Werbung?
Neue Studien belegen dass Alkoholwerbung zum Trinken verführt... Und schon zeigen sich politische Schlussfolgerungen und Kritiker, die gegen die geplante Aktion (Werbeverbote) wettern und nicht gerade freundlich mit der Drogenbeauftragten Sabine Bätzing umgehen. Also bitte... etwas sachlicher hätte ich es schon ganz gern. Zunächst mal... Kritik an wissenschaftlichen Untersuchungen ist üblich und legitim. Aus der Darstellung im Ärzteblatt geht hervor, dass es sich um Studien in den USA und in Belgien handelt - ein Hinweis auf die Studien im Original fehlt. Die Kernaussage dabei ist, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Jugendliche mehr trinken, wenn sie mehr Werbung sehen. Dass Sucht durch Werbung entsteht, davon ist nicht die Rede - trotz allem ist die Logik, Alkoholwerbung kritisch unter die Lupe zu nehmen, durchaus nachvollziehbar. Die Frage ist eben, was mit der Aktion erreicht werden soll... Wenn sich dabei die Gemüter erhitzen und eine Diskussion daraus entsteht... na wunderbar...
Sucht ist ein komplexes Phänomen. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, die Hauptursache dabei in der Werbung zu suchen ist meiner Ansicht nach einfach nur falsch. Angenommen, der Zusammenhang zwischen Häufigkeit der Alkoholwerbung und früherem Beginn sowie höherem Konsum von Alkohol bei Jugendlichen liesse sich in Deutschland ebenfalls belegen - dann haben wir einen korrelativen Zusammenhang, aber keinen Beleg für Kausalität. Dass ein Alkoholverbot dann zu weniger Konsum und späterem Beginn des Alkoholkonsums bei Jugendlichen führt ist also keinesfalls sicher. Unklar ist aber auch, ob das politische Anliegen der geplanten Werbeverbote überhaupt dieser Logik folgt...
Es gibt noch viele andere Aspekte, die in den Darstellungen unberücksichtigt bleiben. Da ist einmal die Frage, wie Jugendliche überhaupt an Alkohol gelangen. Zuhause? Mehr Werbung und mehr Alkohol - das kann nur funktionieren, wenn auch mehr Alkohol verfügbar ist. Zu vermuten ist also, dass Jugendliche, die mehr Werbung sehen und mehr trinken auch leichter und in größerem Umfang Alkohol zur Verfügung haben. Und - sehr wahrscheinlich auch eine eher unkritische Einstellung zum Thema Alkohol aufweisen, wenig oder nichts darüber wissen, dass Alkohol eine Droge mit erheblichem Suchtpotential ist.
Nur - unter den Faktoren, die darüber entscheiden, ob sich aus dem Konsum von Alkohol Missbrauch oder Abhängigkeit entwickeln, spielt die Werbung (aus der Sicht eines Suchttherapeuten) eine verschwindend geringe Rolle. Genauer gesagt - praktisch gar keine. Neugier taucht immer wieder auf, wenn ich nach der Erstkonsumsituation frage, die Bezugsgruppe (die peer-group, die Gleichaltrigen also), Probleme im Hintergrund, meist gibt es bei den Eltern oder Großeltern bereits ein Suchtproblem, genetische Faktoren spielen also ebenfalls eine Rolle. Auffallend häufig haben sich die Eltern scheiden lassen, der Vater fehlt häufig, ist abwesend, verstorben oder unbekannt. Dass Drogen irgendwie gefährlich sein können, das dämmert manchem schon eher, aber Cannabis gilt ja schon als "harmlos", umso mehr, wenn es der eigene Vater als "Medizin für die Lunge" bezeichnet oder die Mutter gelegentlich an einem Joint zieht. Alkohol - das ist für viele schlicht ein "Grundnahrungsmittel", so normal wie sonstwas. Dass Alkohol für einen Abhängigen das pure Gift ist, auch dann, wenn sich eine eigenständige Alkoholabhängigkeit (noch) nicht entwickelt hat, ist oft schwer zu vermitteln. Alkohol wird verharmlost und unterschätzt - dort, wo der Missbrauch beginnt, ist es eben kein Genussmittel mehr.
An all diesen Faktoren ändert ein Werbeverbot überhaupt nichts.
Trotzdem... Politikern "den Mund stopfen zu wollen" ist nicht gerade ein konstruktiver Weg. Über mehr Selbstkontrolle im Zusammenhang mit Werbung nachdenken? Warum nicht? Insgesamt aber neige ich mehr zu einer Auffassung, die stärker auf Prävention setzt.
Warum eigentlich gibt es in vielen Fachkliniken für Abhängigkeitserkrankungen Voträge und Angebote zum Thema "Suchtinformation"? Information klärt auf und hilft. Suchtinformation und Psychoedukation sind sinnvolle und wirksame Instrumente der Suchttherapie. Der eine oder die andere überlegt es sich dann eben, ob die ramponierte Leber noch mehr Richtung Mülleimer wandern soll, was wohl aus der Polyneuropathie wird, wenn der Körper noch mehr mit Alkohol zugeschüttet wird. Irgendwo hört eben der Spass auf, Alkohol ist eben nicht in beliebig hohen Mengen ein Genussmittel... und darum geht es. Suchtkunde als Fach in der Schule? Noch lieber wäre mir ein Fach "Gesundheitsförderung" mit psychologischen und medizinischen Inhalten. Logischerweise wird es dann in vielen Familien zu Diskussionen kommen... denn die Eltern trinken ja auch. Erwachsene, die mit Alkohol eben nicht vernünftig umgehen können, sind kein gutes Vorbild...
Es wäre wirklich ein Experiment wert... Pilotprojekte starten, sachlich und fundiert informieren... zu einem kritischen Umgang mit Medien, Werbung und Alkohol anleiten... und dann beobachten, ob und wie sich der Umgang mit Alkohol bei Jugendlichen verändert. Das allein ist aber auch nur ein Teil des Problems... Erwachsene müssen verstehen lernen, was sie anrichten können, wenn Alkohol an Kinder und Jugendliche weitergegeben wird. Material gibt es genug, siehe www.dhs.de und www.bzga.de.
Lesen darf jede und jeder selbst. Dann brauchen wir nicht mehr zu wettern, nicht gegen Sabine Bätzing, nicht gegen Sportler und nicht gegen die Werbung. Und dann dürfen jene Erwachsenen, die Alkohol genießen können, auch ihren Wein oder ihr Bier trinken. Eben mit Vernunft, in Grenzen und bitte nicht am Steuer. Aufgeklärte junge Menschen werden dann schnell zu dem Schluss kommen: Komasaufen? Nein danke!